Im Lautlosen (German Edition) by Melanie Metzenthin

Im Lautlosen (German Edition) by Melanie Metzenthin

Autor:Melanie Metzenthin [Metzenthin, Melanie]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9781542045964
Herausgeber: Tinte & Feder
veröffentlicht: 2017-07-10T22:00:00+00:00


31. KAPITEL

Freitag, 1. September 1939

»Gut, dass Sie da sind, Herr Kollege. Bitte nehmen Sie doch Platz.« Krüger wies auf den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand. Richard zögerte kurz, ehe er der Aufforderung nachkam. Krügers Freundlichkeit erfüllte ihn mit Misstrauen.

»Ihre Fähigkeiten als Gutachter sind mir wohlbekannt, weshalb Sie genau der Richtige für die neue Aufgabe sind.«

»Worum handelt es sich?«

»Es geht um die planwirtschaftliche Erfassung unserer Patienten. Und dafür sind Sie mit Ihrer umfassenden gutachterlichen Kompetenz bestens geeignet.«

Krügers überhebliches Lächeln bestätigte Richards Verdacht. Eine undankbare, lästige Arbeit, die an den unbeliebtesten Kollegen delegiert werden sollte. Auf der einen Seite ärgerte er sich darüber, andererseits konnte er auf diese Weise vielleicht Repressalien von seinen Patienten abwenden, so wie schon bei der letzten Meldeaktion.

»Um welche Art von Erfassung geht es?«, fragte er.

»Der Staat möchte eine Aufstellung über sämtliche Geisteskranken und Schwachsinnigen, die bereits länger als fünf Jahre in der Anstalt leben oder nicht mehr beschäftigt werden können oder nur noch für leichte mechanische Arbeiten infrage kommen. Ihre Aufgabe besteht darin, für jeden Einzelnen unserer Patienten einen Meldebogen auszufüllen, in dem sein Leistungsbild anzugeben ist.«

Unwillkürlich musste Richard daran denken, dass am Montag erstmals Lebensmittelmarken sowie Bezugsscheine für Benzin ausgegeben worden waren, die mit dem heutigen Datum gültig wurden. Vor einer Woche hatte Paula deshalb noch so viele Vorräte wie möglich ergattert, während er selbst seinen Wagen und auch die beiden Ersatzkanister das letzte Mal vollgetankt hatte. Doch noch schlimmer als der Mangel an Benzin war die Angst vor einem drohenden Krieg, die seit mehreren Wochen wuchs. Ob diese erneute Begutachtung damit zusammenhing? Ging es darum, die Rationen für unproduktive Kranke im Fall eines Krieges weiter zu kürzen?

Er schüttelte die unangenehmen Gedanken ab.

»Und welche Konsequenzen hat die Eingruppierung für die Patienten?«, fragte er stattdessen.

»Das hat Sie nicht zu kümmern. Das ist die Aufgabe des Staates.«

Bevor Richard etwas erwidern konnte, klopfte es heftig an der Tür. Es war Krügers persönliche Sekretärin Frau Handeloh.

»Herr Doktor Krüger, Sie müssen Ihr Radio einschalten!«, rief sie.

Krüger war derart irritiert über den Auftritt seiner sonst so zurückhaltenden Schreibfee, dass er ihrer Aufforderung ohne zu zögern folgte. Richard schaute auf seine Uhr. Es war Viertel nach zehn.

»Polen hat heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen«, schnarrte Hitlers Stimme durch den Äther. »Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen! Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten! Wer mit Gift kämpft, wird mit Giftgas bekämpft. Wer selbst sich von den Regeln einer humanen Kriegsführung entfernt, kann von uns nichts anderes erwarten, als dass wir den gleichen Schritt tun. Ich werde diesen Kampf, ganz gleich, gegen wen, so lange führen, bis die Sicherheit des Reiches und bis seine Rechte gewährleistet sind.«

»Wir sind im Krieg!« Frau Handeloh klang völlig aufgewühlt. »Aber es haben doch alle gesagt, dass es dazu nicht kommen wird!«

»Erstaunt Sie das etwa?«, fragte Richard und wunderte sich, weshalb er selbst so ruhig blieb. Eigentlich hätte er schreiend aufspringen, seinen Zorn und seinen Hass auf die Regierung herausbrüllen müssen. Stattdessen hatte er das Gefühl, einfach



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